13.10.2017, 13 Uhr
5 Fragen an die Kuratoren Tobias Hering und Annett Busch zum Werk von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub
Tobias Hering und Annett Busch haben das Programm „Sagen Sie’s den Steinen. Zur Gegenwart des Werks von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub“, das noch bis 19.11.2017 mit einer Ausstellung und einem umfangreichen Rahmenprogramm aus Filmvorführungen, Gesprächen, Workshops und Konzerten zu sehen ist, kuratiert. Im Interview sprechen sie darüber, warum die beiden Filmemacher sie faszinieren, und beschreiben, was die BesucherInnen erwartet.
Was fasziniert Sie am Werk Huillet/Straubs?
Annett Busch: Dass es nicht langweilig wird. Es ist so reichhaltig und offen, man findet immer wieder etwas Neues. Das Werk, die Filme sind unzeitgemäß, das heißt, sie sind gemacht in ihrer Zeit und zugleich auf sie und gegen sie gerichtet. Sie ermöglichen es, sie in einer jeweilig unterschiedlichen, versetzten und zukünftigen Gegenwart zu sehen und darin etwas Gegenwärtiges zu finden. Ein historischer Stoff wird durch die Filme und beim wiederholten Ansehen immer wieder aktualisiert. So etwas gibt es nicht oft im Kino.
Tobias Hering: Man wird beim Hören und Betrachten dieser Filme in jedem Moment mit etwas sehr Konkretem konfrontiert: eine Stimme, eine Landschaft, eine genau gesetzte Musik. Damit verbunden ist immer auch die Entscheidung, etwas nicht zu zeigen, konventionelle Kompromisse nicht einzugehen, und dort, wo man sich etwas leistet (z.B. eine lange Einstellung auf eine Landschaft) oder wo man verzichtet (z.B. auf Bebilderung des Gesprochenen), dies mit starken Gründen zu tun.
Was erwartet die Besucher in der Ausstellung?
Annett Busch: Ein Puzzle aus biografischen und filmografischen Versatzstücken, Dokumente der Zeit und Zeitdokumente, künstlerische Arbeiten, die sich auf verschiedene Weise von der Arbeit von Huillet und Straub haben anregen lassen, – und der Film Kommunisten von 2014, dessen Teile und Zusammensetzung man im Raum durchqueren kann.
Tobias Hering: Es gibt viele Bezüge zwischen verschiedenen Punkten der Ausstellung, den Filmen, Dokumenten, Skizzen, Bildern, aber es gibt keinen vorgesehenen Parcours, keine richtige oder falsche Reihenfolge. Der Ausstellungsraum ist eine Konstellation, in der sich jede und jeder frei bewegen kann – hoffentlich ohne sich darin zu verlieren.
Musik und Komposition waren essentiell für Huillet/Straub in ihrer Arbeit. Wie sah diese Auseinandersetzung aus?
Annett Busch: Zentral ist dabei die Frage: Wie lässt sich Musik auf die Leinwand übertragen? Wie wird die Musik-Arbeit sichtbar, die Arbeit an und mit der Musik? Sie zu spielen, zu komponieren. Aber auch auf anderer Ebene spielt Musik und was sich daraus ableiten lässt eine Rolle, in den Begriffen von Musik zu denken: Rhythmus, Variation, Wiederholung, Arrangement, Verdichtung. Das findet sich im Schnitt wieder, aber auch in der Art, wie Huillet und Straub mit den Schauspielern arbeiten. Und nochmal anders konkret: es geht um Johann Sebastian Bach (Chronik der Anna Magdalena Bach / 1967) und Arnold Schönberg (Moses und Aron / 1974, Einleitung zu Arnold Schönbergs Begleitmusik für eine Lichtspielscene / 1972, Von Heute auf Morgen / 1996) – und je nach Film muss man die Frage jeweils neu beantworten.
Tobias Hering: In Chronik der Anna Magdalena Bach ging es Huillet/Straub darum, mit Musik im Film ganz anders umzugehen, als es bis dahin üblich war, nämlich als Versiegelung der Bilder. Aber es ging auch um die Person Bachs und seiner Frau, ihr prekäres Leben in ihrer Zeit, und um die historische Bedeutung der Bach'schen Musik in der Entwicklung des Komponierens. Dass in dieser Musik nämlich etwas sehr Altes noch oder wieder zur Geltung kommt und dass dieses zur Geltung bringen gleichzeitig etwas absolut Neues gesetzt hat, hinter das es kein Zurück mehr geben würde. Das Interesse an Arnold Schönberg ist ebenso vielschichtig: sowohl die Person, als auch die Musik und deren Rolle in ihrer Zeit. Ich habe das Gefühl, dass die Auseinandersetzung mit Schönbergs Kompositionsweise, vor allem bei der Arbeit an Moses und Aron, auch die Art und Weise geprägt hat, wie Huillet und Straub mit den filmischen Mitteln umgegangen sind. Zum Beispiel spielt die Idee der Gleichbehandlung aller Elemente eines Ensembles, die das Komponieren mit zwölf Tönen vorgibt, auch in der Komposition von Bild und Ton bei Huillet/Straub eine große Rolle.
Huillet/Straub haben sich intensiv mit der Rezeption ihrer Filme beschäftigt. Diesen Ansatz nehmen Sie mit den Rencontres auf. Was genau steckt dahinter?
Annett Busch: Sie haben sich nicht wirklich mit der Rezeption ihrer Filme beschäftigt, sie haben eher in die Rezeption eingegriffen, indem sie viel mit den Filmen unterwegs waren, das war Teil ihrer Filmpraxis. Sie haben Filmseminare abgehalten, haben sich Gesprächen mit dem Publikum und der Presse gestellt – alles Ereignisse, bei denen viel diskutiert und auch gestritten wurde. Beim Ansehen der Filme passiert etwas, da finden auch Begegnungen statt und das zu besprechen ist spannend.
Tobias Hering: Was wir mit den Rencontres aufgreifen, ist vor allem das Reden nach und über die Filme. Es geht darum, die Filme zum Auslöser einer gemeinsamen Erfahrung und zum Bezugsfeld einer kollektiven Gesprächssituation zu machen, die jedoch selten zu Einhelligkeit führt. Es geht um Begegnungen, die von den Filmen eröffnet werden und deren Ausgang offen ist.
Im Rahmen von „Sagen Sie’s den Steinen“ findet eine vollständige Retrospektive der Filme Huillet/Straubs statt. Welchen Film empfehlen Sie für Huillet/Straub-Einsteiger? Und welchen muss man einfach gesehen haben?
Annett Busch: Schwer zu sagen. Vielleicht Chronik der Anna Magdalena Bach (1967), Moses und Aron (1974), Fortini/Cani (1976), Sicilia! (1998), Operai, Contadini (2000), Une Visite au Louvre (2003), Itinéraire de Jean Bricard (2007), L’Aquarium et la Nation (2015) – dazwischen wird schon ein irres Spektrum sichtbar.
Tobias Hering: Wichtig ist, dass in der Retrospektive auch die neueren Filme zu sehen sind, die Jean-Marie Straub nach dem Tod von Danièle Huillet realisiert hat, und von denen in Berlin noch fast keiner je zu sehen war. Ich denke aber, der Film, der auf den ersten Eindruck noch am ehesten mit den Konventionen des Erzählkinos zu tun hat, und sich daher womöglich als Einstieg anbietet, ist Klassenverhältnisse (1983) nach Kafkas abgebrochenem Amerika-Roman. Der Tod des Empedokles (1986) bietet eine sehr intensive Begegnung mit dem Kino Huillet/Straubs, mit dem Kino überhaupt, insbesondere, wenn man sich die Zeit nimmt, gleich zwei der vier Fassungen dieses Films hintereinander anzusehen, wie man es am 25.10. im Zeughauskino in Berlin tun kann. Auch in Sicilia! (1998) steckt viel drin, was für das Werk wichtig ist, allen voran der Text von Elio Vittorini, aber auch die vorangegangene Theaterarbeit mit den SchauspielerInnen in Buti.
Interview: Akademie der Künste
Annett Busch, geboren 1969 in München, arbeitet als freie Kuratorin, Autorin und Übersetzerin in Trondheim und Berlin. An der Trondheim Academy of Fine Art / NTNU leitet sie derzeit das kollaborative künstlerische Forschungsprojekt Electronic Textures – zu pan-afrikanischen und trikontinentalen Zeitschriften.
Tobias Hering, geboren 1971 in Siegen, arbeitet als Kurator und Publizist und lebt in Berlin. Seit 2011 ist er an der Programmarbeit des Kasseler Dokumentarfilm- und Videofestivals Dokfest beteiligt, für das er zuletzt eine Kooperation mit der documenta14 kuratierte und derzeit eine kleine Werkschau des Dokumentarfilmers Peter Nestler vorbereitet.