7.12.2006
Stellungnahme der Akademie der Künste zur Erhaltung der Theaterbauten von Oskar Kaufmann am Kurfürstendamm
Die Akademie der Künste appelliert an die Besitzer, Betreiber, Politiker und zuständigen Behörden, zwei wichtige Theaterbauten Oskar Kaufmanns am Kurfürstendamm in Berlin zu erhalten und nicht einer willkürlichen Grundstücksgestaltung zu opfern.
Für den architektonisch bedeutungslosen Bauruinenveranstaltungsort “Tränenpalast” glaubt sich die Berliner Kulturbehörde einsetzen zu müssen, statt sie dem neuen Grundstückseigentümer zur optimalen Gebäudegestaltung und passenden Ergänzung des Bahnhofareals Friedrichstraße zu überlassen. Wort- und tatenlos aber bleiben die verantwortlichen Politiker und Behörden im Fall des drohenden Abrisses der beiden derzeit von Martin Wölffer geleiteten Bühnen “Theater am Kurfürstendamm” und “Komödie”. Der massive Protest vieler Zuschauer und namhafter Vertreter des Berliner Kulturlebens verhallt wirkungslos, weil in diesem Fall dem Grundstückseigentümer eine unbeschränkte Verfügungsgewalt bei der Gebäudenutzung eingeräumt worden ist, so dass das Recht, das Kurfürstendamm-Karee, in das die beiden Bühnen seit 1971 “eingebaut” sind, zur mehr Rendite abwerfenden Nutzung umzubauen, höher bewertet wird als die Pflicht, dem Kulturleben der Stadt zwei denkmalwürdige Bühnen zu erhalten, die Theatergeschichte geschrieben haben und die mit dem Wirken bedeutender jüdischer Künstler eng verbunden sind, die 1933 in die Emigration gehen mussten: mit Oskar Kaufmann und Max Reinhardt.
Oskar Kaufmann (1873-1956) war bis 1933 einer der meistgepriesenen Theaterbaukünstler Deutschlands; Berlin verdankt ihm sieben Theater, die stilistisch der Art Déco zugerechnet werden, ein Stil, der vom Architekten selbst lieber expressionistischer Rokoko genannt wurde, der das, was die Bühne seiner Bauten an Stimmungen, Reizen, Wärme, Gefühlen und Zauber zum Ausdruck brachte, auch in der Architektur aufleben lassen wollte. Der aus Ungarn (einem heute in Rumänien gelegenen Städtchen) stammende Kaufmann, der an der TH Karlsruhe seine Ausbildung erhielt, begann um 1900 in Berlin zunächst als Innenarchitekt zu arbeiten. 1907 baute er das Hebbel-Theater, 1914 die Volksbühne am Bülowplatz, von 1920 an das Theater am Kurfürstendamm, das Renaissance-Theater, die Kroll-Oper, die Komödie am Kurfürstendamm und das Kino-Theater am Nollendorfplatz. (Nach seiner Emigration baute er noch das Habimah-Theater in Tel Aviv und das Ora-Kino in Haifa.)
Dietrich Worbs hat am 29. Juni 2006 in der FAZ die wechselvolle Baugeschichte der beiden Kurfürstendamm-Theater geschildert und bedauert, dass der Landesdenkmalrat im Fall dieser Bühnen zu wenig Handlungsbedarf gesehen und nur auf die Interessen der um lukrativere Nutzungen bemühten Einkaufspassagenbesitzer geachtet hat.
Im Auftrag von Eugen Robert, dem Direktor des von ihm gebauten Hebbel-Theaters, baute Oskar Kaufmann 1921 auf sehr geschickte Weise das 1905 errichtete Haus der Liebermannschen “Sezession” am Kurfürstendamm zum für damalige Verhältnisse intimen und sehr schlicht gestalteten Theater um. Er arbeitete, da es an Geld fehlte, mit möglichst einfachen Materialien und erzielte doch Wirkungen von ausgesuchter Festlichkeit. 1930, als Max Reinhardt das Haus übernahm, schuf Kaufmann ein neues Bühnenhaus und einen neuen Eingang, das Foyer und den Zuschauerraum veränderte er nicht. Gustaf Gründgens inszenierte und spielte hier die Revue “Alles Schwindel” von Mischa Spoliansky, Max Reinhardt reüssierte in diesem Haus hauptsächlich mit seiner Inszenierung der “Schönen Helena” von Offenbach, musikalisch eingerichtet und dirigiert von dem Komponisten Korngold. In der Spielzeit 1931/32 war Ernst Josef Aufricht der Pächter der Bühne und brachte hier Brecht/Weills Oper “Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny”, inszeniert von Brecht und Caspar Neher, mit Trude Hesterberg, Harald Paulsen, Lotte Lenya heraus.
Nach Reinhardts Emigration wurde das Theater von den Nazis in staatliche Obhut genommen. Wegen schwerer Bombenschäden wurde das Haus 1943 geschlossen. Die Architekten Helmut Remmelmann und Fritz Gaulke sorgten dafür, dass die Bühne 1946 wieder bespielt werden konnte. 1949 wurde es das Haus der “Freien Volksbühne”, mit vielen Intendanten, die oft schnell das Handtuch warfen, weil die Geschäftsführung zu unbedacht die künstlerische Leitung zu gängeln versuchte. Und dennoch kamen hier große Aufführungen heraus: Giorgio Strehler inszenierte “Don Juan” von Molière; Oscar Fritz Schuh die O‘Neill-Dramen “Eines langen Tages Reise in die Nacht” mit Grete Mosheim und Paul Hartmann und “Fast ein Poet” mit Paula Wessely, Attila Hörbiger, Annemarie Düringer und Marinne Hoppe; Rudolf Noelte “Die Kassette” von Carl Sternheim mit Theo Lingen, Bruni Löbel und Regine Lutz; Erwin Piscator schließlich brachte hier die Uraufführung von Hochhuths “Der Stellvertreter” heraus. 1964, nachdem die Freie Volksbühne ihr neues Haus an der Schaperstraße bezogen hatte, übernahm der Leiter der “Komödie”, Jürgen Wölffer, auch das Theater am Kurfürstendamm.
Die “Komödie” am Kurfürstendamm begann Kaufmann 1922 zu bauen, zunächst errichtete er ein Geschäftshaus mit expressionistischer Fassade, dahinter entstand die nach den Vorstellungen Max Reinhardts gestaltete eleganteste Boulevardbühne für den Westen Berlins. Die Einweihung im November 1924 war ein großes gesellschaftliches Ereignis, das Theater selbst ein allgemein anerkanntes architektonisches Meisterstück mit einem Innenraum in geschwungenen Linien, von Bildhauern und Malern mit verschiedenen Materialien und leuchtenden Farben ausgestattet, um die von Reinhardt gewünschte festliche Intimität entstehen zu lassen.
Mit 460 Plätzen war es die kleinste der Kaufmannschen Theaterschöpfungen. Die damalige “Aura” des Theaterbaus, welche Wirkung von ihm ausging, macht ein Brief des Kunst- und Architekturkritikers Paul Zucker an Kaufmann deutlich: “Ich finde den Raum von einer bewunderungswürdigen Ausgeglichenheit und feinstem künstlerischen Taktgefühl in der farblichen und räumlichen Disposition- und das wird auch jeder Normal-Smoking empfinden, der ihn betritt. Welche Schwierigkeiten aber hier aus den gegebenen Voraussetzungen stillschweigend und lautlos überwunden sind, so dass sie der Laie eben gar nicht mehr merkt, kann doch nur der Fachmann Ihnen bewundernd nachfühlen.”
Die Eröffnungspremiere war die Reinhardt-Inszenierung von Goldonis “Der Diener zweier Herren”, die von den Zuschauern begeistert gefeiert wurde und bei der am Schluss neben den Schauspielern auch Reinhardt und der Architekt Oskar Kaufmann mit Ovationen bedacht wurden. Im “Prager Tageblatt” würdigte Joseph Roth, mit leicht ironischer Distanzierung gegenüber Reinhardts “festlichem” Theaterverständnis, das geglückte Zusammenspiel von Architektur und Bühne: “Der Architekt Oskar Kaufmann hat die ‘Komödie’ erbaut. Das heißt in diesem Fall: geschaffen. Denn in einem Theater, in dem das Publikum spielt und die Bühne ein geschmackvoller Vorwand ist, wird der Erbauer ein Schöpfer und Regisseur.” Max Reinhardt pflegte in der “Komödie” analog zum Spielpan der Kammerspiele seines Deutschen Theaters das anspruchsvolle Salonstück, großstädtische Boulevardkomödien, Kabarettrevuen und Kriminalstücke in hochkarätiger Besetzung, inszeniert von ihm selbst, Heinz Hilpert, Erich Engel oder Gustaf Gründgens.
Die “Komödie” führte nach wechselnden Direktionen ab 1937 mehrere Jahre Hans Wölffer, 1943 wurde sie verstaatlicht und wegen der Bombenschäden bald geschlossen. Ab 1946, von Karl Friedrich Demmer einfühlsam restauriert, war die “Komödie” wieder bespielbar, Achim von Biel, zeitweise Kurt Raeck und dann wieder Hans, später Jürgen Wölffer waren die Betreiber. Die “Komödie” ist durch die Kriegsschäden, Nachkriegsumbauten und schließlich durch den Einbau in das Ku’damm-Karee weniger verändert worden als das größere Theater am Kurfürstendamm. Der Eingangsbereich ist neu, aber das zweigeschossige Foyer mit Galerie und Umgängen ist in etwas vereinfachter Form bestens erhalten, die Galeriegitter und die ovalen Wendeltreppen mit ihren phantasievollen schmiedeeisernen Art-Déco-Geländern sind vollständig bewahrt, dazu die meisten Teile der wandfesten Ausstattung. Auch der kreisrunde Zuschauerraum, betont Dietrich Worbs, mit dem zweigeschossigen Logenkranz ist nahezu original erhalten, ebenso die Bühne mit dem Rundhorizont sowie der Malersaal über dem Zuschauerraum mit seiner Dachkonstruktion.
In der “Komödie” agierten nicht nur die erfahrenen Spezialisten des Boulevardmetiers wie Harry Meyen, Wolfgang Spier, Harald Juhnke, Friedrich Schönfelder, Johannes Heesters, Grit Böttcher, Brigitte Mira - die Bühne war immer bestens geeignet auch für besondere Gastspiele im Rahmen der Berliner Festwochen oder des Theatertreffens.
Wir appellieren an die verantwortlichen Politiker und zuständigen Behörden der deutschen Hauptstadt, alle Hebel für die Erhaltung dieser beiden Zeugnisse künstlerischen Bauens und weltstädtischen Theaters in Berlin in Bewegung zu setzen und die gesetzlichen Maßnahmen für ein Abrissverbot zu schaffen. Wir appellieren an die Besitzer des Karrees, eine Konzeption zu entwickeln, bei der die beiden Bühnen als belebender und damit die gewerbliche Nutzung der Passage verbessernder Faktor nicht angetastet werden. Wir glauben, dass eine Verbesserung der Einkaufs- und Büropassage nur im Zusammenspiel mit intelligenter, zu einer Hauptstadt und einem Boulevard wie dem Kurfürstendamm passender Theater- und möglichst auch Kinoszene möglich ist. Die ideellen Interessen der bürgerlichen Sozietät dürfen nicht restlos den materiellen Interessen von Banken und Konzernen geopfert werden. Die zunehmende Barbarei, die geistige Verwahrlosung, Verrohung und Gewaltbereitschaft sind die Begleiterscheinungen von Zuständen und gesellschaftlichen Gegebenheiten, bei denen der Staat und die Regierenden keine Autorität mehr ausüben und nur noch dem Lobbyismus freien Lauf lassen.
Wir bekräftigen noch einmal: Ein Abbruch der beiden Bühnen würde die in den zwanziger Jahren geschaffene urbane Berliner Theatertradition, die neu belebt werden muss, definitiv zerstören und das Zeugnis der wunderbaren Zusammenarbeit des Architekten Oskar Kaufmann und des genialen Regisseurs Max Reinhardt sowie zwei glücklicherweise noch ziemlich authentisch und gut erhaltene hochrangige Dokumente der Berliner Theatergeschichte, des Berliner Theaterbaus und bürgerlich jüdischen Kulturlebens vernichten. Auch der Kompromiss, eine der Bühnen an anderer Stelle des Karrees neu zu bauen, der der jetzigen Direktion vielleicht ausreicht, um ihren Spielbetrieb fortzusetzen, lindert nicht den Schaden der Vernichtung.
Dezember 2006
Prof. Klaus Völker
Mitglied der Akademie der Künste