Wagner-Concil: Tannhäuser - Arbeit zwischen Rausch und Traum
Programm
15-17 Uhr Plenarsaal
Lesung des Tannhäuser-Librettos
Fabian Hinrichs............Wolfram von Eschenbach
Martin Clausen............Walther von der Vogelweide
Stefan Kolosko........... Biterolf
Mira Partecke............. Elisabeth, Nicht des Landgrafen
Kathrin Angerer.......... Venus
Franz Wuttke...............Ein junger Hirte
Chor: Zeynep Bozbaz, Julia Büki, Anna Heesen, Johanna Dähler, Julia Forne, Lilli Lorenz, Rose Reiter, Lena Volk
17.30 -19 Uhr Plenarsaal
Diskussion des Regie-Konzepts für die „Tannhäuser“-Inszenierung in Bayreuth, August 2011
Sebastian Baumgarten (Regie), Joep van Lieshout (Bühne), Nina von Mechow (Kostümbild) und Chris Kondek (Video) sprechen, moderiert von dem Produktionsdramaturgen Carl Hegemann, mit Johannes Hoff (Theologe, Wales), Christoph Menke (Philosoph, Frankfurt/Main), Sabine Maria Schmidt (Kuratorin, Düsseldorf) und Clemens Risi (Theaterwissenschaftler, Berlin).
Arbeit zwischen Rausch und Traum: Alcoholator aus dem Werk "The Technocrat" von "Tannhäuser"-Bühnenbildner Joep van Lieshout, Ausstellungsansicht 2010 (Detail). Foto © Atelier Van Lieshout
Notiz zum Tannhäuser 2011:
Aus totem Holz wächst frisches Grün
von Carl Hegemann
Wie in allen kanonischen Werken Wagners, geht es auch im Tannhäuser gleichzeitig um große Menschheitsfragen und um intime Widersprüche des Privatlebens. Wagner projiziert den existentiellen Konflikt, in dem sich sein und unser (Liebes-)Leben befindet, in eine mittelalterliche Welt, um für sich und sein Publikum Abstand zu gewinnen. Heute müssen wir nach neuen Kunst- und Lebensformen Ausschau halten, um diesen Rahmen für uns zu finden. Denn die frühromantische Rekonstruktion des Mittelalters im Nazarener-Stil hat sich ästhetisch verbraucht.
Das neue Mittelalter, wie es der holländische Künstler Joep van Lieshout, in seinen Entwürfen von Städten und Werkstätten, von alternativen Lebensräumen ausruft, könnte für uns heute einen solchen Rahmen abgeben. In van Lieshouts großangelegten, dem Gesamtkunstwerk und der Aufhebung der Trennung von Kunst und Leben verpflichteten Arbeiten, kommen wie bei Wagner die gegensätzlichen Strebungen der Kunst zur Entfaltung, die ihrerseits die widersprüchlichen Strebungen menschlichen Daseins zur Grundlage haben.
Was im Festspiel Tannhäuser gefeiert wird, ist kein historisch kontingenter Konflikt zwischen einer zu engen, zwanghaften Sexualmoral und dem daraus resultierenden Überdruck, der sich in scheinbar maßloser Triebhaftigkeit entlädt, sondern eine der ersten Auseinandersetzungen Wagners mit den zwei grundlegenden sich gegenseitig ausschließenden Arten Harmonie, Glück und Einheit herzustellen: dem dionysischen Rausch und dem apollinischen Traum. Ein Kunst und Leben bedingendes Widerspruchsmodell, das Nietzsche später in seinem Wagner gewidmeten Buch Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik entfaltete.
Venus, die im Tannhäuser den dionysischen Rausch verkörpern soll, ist gleichzeitig eine Übermalung der heidnischen Fruchtbarkeitsgöttin “Frau Holda”. Das zeugt von der Konsequenz, mit der schon der jüngere Wagner seine Konflikttableaus gestaltete. Das Außermoralische und Rauschhafte ist zugleich der Ort der Fruchtbarkeit und der Reproduktion, des Werdens und Vergehens schlechthin. Der Haken dieses isolierten dionysischen Modells liegt in der Gefährdung der Einzelwesen, die im ungebremsten Leben leicht unter die Räder kommen, die dionysische Existenz als Lebensweise ist “Barbarei”, die Menschen, die sich ihr verschreiben, verwandeln sich laut Nietzsche in “Tiger und Affen” und sehnen sich letztlich nur nach einem: dem Tod. Die Lebenskraft, die sich hier äußert, ist aber die Bedingung jeder Liebe, jeder Entwicklung und jeder Fruchtbarkeit und gleichzeitig ist sie in ihrer moralischen Indifferenz und Verantwortungslosigkeit die Ursache für das, was man in religiösen Kontexten als Sünde bezeichnet. Das würde aber bedeuten: Leben ohne Sünde ist unmöglich. Vorbilder für diese sündhafte Lebendigkeit gibt es in der griechischen Götterwelt, die in der 1. Szene des ersten Aktes ausführlich zitiert wird (Leda, Europa).
Aber die Asozialität und Sündhaftigkeit alles Lebendigen markiert auch die Grenze des Dionysischen, denn die Erfahrung dionysischer Zustände ist nur für Subjekte möglich und Subjekte sind an andere Subjekte gebunden, es gibt sie nur als soziale Wesen, sie bedürfen sozialer Kompetenz, d. h. der Fähigkeit sozialen und zweckmäßigen Handelns, also genau der Qualitäten, durch deren Abwesenheit sich das Dionysische auszeichnet.
Das Subjekt ist an Form, Gesetz und Moral gebunden. Das Apollinische in der Kunst reflektiert diese Subjekthaftigkeit, es träumt von der harmonischen Ordnung, von einer Welt ohne Widerspruch und Exzess, von einer klaren, heiteren ungefährlichen Lebensweise, in der sich immer alle einig werden und in der jeder Gefahr begegnet werden kann. Aber das alles ist natürlich nur möglich, solange man das Dionysische unter Kontrolle hat. Dies ist der zweite Kunstraum. Das isoliert Apollinische erscheint als Wartburg, deren Ikone Maria ist, die reine “allmächtigen Jungfrau“.
Die Disjunktion dionysisch /apollinisch hat Nietzsche unter dem Einfluss von Wagner , seinem “Mystagogen in allen Fragen der Kunst und des Lebens” entwickelt und sein Tragödienbuch ist die Entfaltung einer Theorie, die er bei Wagner kennengelernt hat und zunächst in die griechische Tragödie projiziert hat, um sie dann bei Wagner vollendet zu sehen: In der Tragödie und bei Wagner kommen Dionysisches und Apollinisches zusammen, obwohl sie sich in jeder Hinsicht gegenseitig ausschließen.
Das ist paradox und resultiert aus der Einsicht, dass sie sich trotz ihrer Gegensätzlichkeit gegenseitig bedingen, dass sie in einem Interdependenzverhältnis zu einander stehen, in einem Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit. Dieses Verhältnis ist unvermeidbar. Das Dionysische, das sich vom Apollinischen abschottet, ist bewußtlos und das Apollinische, das sich über das Dionysische erhebt, ist tot. Nur im (Selbst-) Widerspruch ist bewußtes Leben möglich.
Venus und Maria verkörpern die beiden Seiten des Widerspruchs und sind insofern reine jenseitige Projektionen (Göttinnen). Betrachtet man sie aber als endliche Wesen, was zumindest bei der eifersüchtigen Venus möglich ist, zeigt sich auch bei ihnen der Widerspruch. Auch Elisabeth und Wolfram müssen den Konflikt zwischen dionysischen und apollinischen Strebungen austragen. Sündigen und Büßen, Heucheln und Lügen sind die Mittel, den Widerspruch scheinbar aus der Welt zu schaffen. Das Spiel der Kunst feiert ihn und macht die Menschen mit ihm vertraut. Tannhäuser kann sich immer nur einem Extrem verschreiben, entweder Dionysos oder Apoll, er verweigert den Selbstwiderspruch und muss deshalb scheitern. Nur einer ist frei von allen Widersprüchen: das reine verdorbene Kind, der Hirtenjunge.
Zwei Weisheiten liegen diesem Modell existentiellen Widerspruchs nach Nietzsche zu Grunde: Die erste ist die Weisheit des Silen, des reflektierenden Begleiters des Dionysos: Das beste wäre für dich, nie geboren zu sein, das zweitbeste aber bald zu sterben. Und die Weisheit, die Nietzsche dem “Homerischen Menschen“ zuschreibt: Das Zweitschlimmste ist, das wir einmal sterben müssen, das schlimmste aber ist, bald zu sterben. Das erste gipfelt im “süßen Tod” z. B. in den Armen der Geliebten, das zweite erfordert “das harte Leben”: durch Entsagung zur Harmonie. Sebastian Baumgartens Inszenierung wird versuchen, die großen und unvermeidlichen Konflikte aus diesem Stoff herauszuarbeiten und diese Oper aus den Fesseln des 19. Jahrhunderts zu befreien.
(15.11.2010)
Das Wagner-Concil wird durch die Deutsche Bank AG unterstützt.