Kathrin Röggla und Manos Tsangaris im Gespräch
13. März 2019
Der folgende Briefwechsel zwischen der Schriftstellerin Kathrin Röggla, Vizepräsidentin der Akademie der Künste und Mitglied der Sektion Literatur, und dem Musiker Manos Tsangaris, Mitglied und seit 2012 Direktor der Sektion Musik der Akademie, entstand in der Vorbereitungsphase des künstlerischen Forschungslabors „Wo kommen wir hin“, das Manos Tsangaris und Kathrin Röggla zusammen mit der Bildenden Künstlerin Karin Sander initiiert haben.
Darin sollen sowohl Fragen des gesellschaftlichen wie auch künstlerischen Umgangs mit Formen gestellt werden. Ab 21. März 2019 wird sich in einer zweimonatigen Arbeitsphase in der Akademie am Hanseatenweg verdichten, was seit Herbst 2018 mit einzelnen Veranstaltungen schon vorbereitet wurde.
Lieber Manos,
in seinem Buch Gespenster meines Lebens beschreibt der Poptheoretiker Mark Fisher die unterschiedlichen Aspekte einer Renaissance des Gespenstischen in allen kulturellen Äußerungen beziehungsweise den Ausdruck einer besonderen Unheimlichkeit der eigenen Zeit, der einhergeht mit einem Orientierungsverlust und bestimmten Heimsuchungen. Nicht mehr zu wissen, in welcher Zeit wir leben und wo sich eigentlich all diese popkulturellen Äußerungen überlagern, die aus allen Zeiten stammen könnten, mitten in einer Politik der Alternativlosigkeit festzustecken, die nur von rechts vermeintlich aufgebrochen wird, das alles bringt eine melancholische Überproduktion des Gespenstischen in Gang.
Vom Nicht-mehr zum Noch-nicht ist alles gespannt, Nachbilder, Aberrationen, geisterhafte Erscheinungen des Gewesenen, das formal sich nochmal behauptet, stehen direkt neben den Dingen, die wir noch nicht zu erwähnen wagen und die wie ein Elefant im Raum stehen, der nur darauf wartet, ausgesprochen, angesprochen, umgesprochen zu werden.
Was drückt sich formal auf uns ab, was wir uns nicht trauen deutlich wahrzunehmen? Der Kapitalismus? Frei nach Slavoj Žižek: Eher könnten wir uns den Weltuntergang vorstellen als das Ende des Kapitalismus? Oder ist das zu grob? Welche negative Verdrängungsdynamik des Sprechens, Gestaltens, Zeichensetzens ist im Gang? Solche Dinge interessieren mich derzeit.
Sie drängen zu Formfragen hin. Gibt es zwingende Formen? Warum lebt die Formdebatte in der Literaturwissenschaft wieder auf? Was machen wir dann aber mit all dem Inhaltismus in den künstlerischen PR-Texten, die mit politischen Schlagworten um sich werfen? Warum gibt es diese Themenwut, die künstlerische Sichtbarkeit über journalistische Zugriffe auf gesellschaftliche Themen organisiert? Und was machen die fließenden Formen des Netzes und die allseits gegenwärtigen kommerziellen und medialen Benutzeroberflächen, deren Thematisierung Du, Manos, in den letzten Gesprächen immer wieder eingefordert hast?
Es scheint, wir müssen an gewissen Wiedereröffnungen des Akademie-Gebäudes am Hanseatenweg arbeiten, zumindest an Öffnungen. Welche architektonischen Verbindungen sind im Haus dafür tauglich? Gibt es eine Linie, die vom Tonstudio zur Halle 1 reicht? Oder von der Cafeteria zum Lager? Welches wahre Innenleben der Akademie können wir produktiv machen? Karin Sander hat das Innenleben der Büroarbeit einer Galerie in einer Papiermüllinstallation plötzlich nach außen gestülpt. Hast Du etwas Ähnliches vor? Du arbeitest auch mit den sozialen Ohren Deines Publikums, die ästhetisch gewachsene sind (wie viele Ohren soll ich eigentlich mitbringen?). Wir haben vor einem Jahr begonnen, miteinander zu sprechen, wie machen wir weiter? Warum ist dieses Gespräch wichtig? Welche Gespensterkunde wollen und können wir gemeinsam mit anderen Künstlern und Künstlerinnen betreiben?
Mit dieser Frage grüßend, Kathrin Röggla
Liebe Kathrin,
Dank für Deinen schönen Brief mit den tausend Fragen und Geistererscheinungen.
Bei mir hat sich in diesen Tagen ein kleiner Wandel vollzogen. Das, was wir so schön abstrakt (um uns nicht falsch festlegen zu müssen) verteidigt haben, drehte plötzlich in zwei ganz konkrete Projekte.
Das eine sollte schon im Herbst 2018 beginnen, also lange vor unserer ganz „heißen Phase“. Ich nenne es „Free International Drumming“ (FID) oder „Buschtrommeln Berlin“. Buschtrommeln sind Nachrichtentrommeln. Es werden Informationen weitergegeben. Und das „Free International …“ soll bewusst an Joseph Beuys erinnern, der ja die Free International University mit anderen zusammen gegründet hat.
An unterschiedlichen Spielstätten am Hanseatenweg möchte ich immer wieder mit meinen DRUMS OFF CHAOS spielen, aber auch Trommler aus allen Himmelsrichtungen einladen. Dazu kommen Elektro-Lurche aus Berlin, junge DJs und Laptop-Künstler, die sich mit uns musikalisch verknüpfen werden. Es geht also nicht um Folklore, sondern die aktuelle Bewegung der Dinge.
„Wir suchen überall das Unbedingte“, schreibt Novalis, „und finden immer nur Dinge.“ Die Trommel ist ein Ding, deren Mitte leer ist. Außenherum befinden sich Felle und der Kessel, in der Mitte ist … nichts (Festes jedenfalls). Diese leere Mitte macht den Sound überhaupt erst möglich.
Die Trommel-Sprache ist international. Wir öffnen das Haus für Berliner*innen, für Auswärtige, für auswärtige und inwärtige Geflüchtete, für junge und alte Liebhaber*innen des musikalischen Wandels.
Und noch etwas: Wenn es uns passt, werden wir von heute auf morgen am Hanseatenweg eine kleine Republik ausrufen. Wir bilden Räte, wir lösen mit Beharrlichkeit und Disziplin die Probleme der Welt. Danach wird gefeiert.
Ganz herzliche Grüße, Dein Manos
Lieber Manos,
das klingt gut – wenn wir eine Republik eröffnen, wird sie allerdings ganz anders sein müssen als all die Künstlerstaaten, die vor über zwanzig Jahren aufgemacht wurden, all diese hybriden Kunststaaten. Es müsste ein völlig unmelancholischer Umgang damit sein, nicht einmal ein einfach ironischer, d. h. mit einer Ironie, die sich hinter einer einzigen festen Geste versteckt, die nur mit Symbolen um sich wirft.
Eine Republik der Künste, die nach vorne geht, kann für mich nur eine mit Geisterstimmen, Verstärkern und realen Netzwerken sein, die ein zweigleisiges Zuhören und Zusehen ermöglicht, ein dialogisches System – eine Republik, die vielleicht eine Konversion ihrer formalen Gesetze betreibt, weswegen mir notgedrungen die Besetzung des Tonstudios vorschwebt, eine digital-analoge Radiostation der anderen Art, ein performativer Raum, der Verbindungen ins Oberirdische und Unterirdische erhält. Ein Ort, in dem ständig der Elefant im Raum, über den niemand reden mag, gezeichnet werden kann und gleichzeitig auseinandergenommen.
Aber noch wissen wir nicht, was die anderen sagen, noch wissen wir nicht, wie sich Karin Sander zu Wort melden wird …
Herzlich, Kathrin
Liebe Kathrin,
diese Engführung der Motive, die ich in Deiner Antwort finde, ist mir als Musiker gar nicht fremd. Manches verstehe ich bestimmt falsch. Aber der Rhythmus des Ganzen nimmt mich mit, regt an und macht neugierig. „Die Rhythmus-Formel der Logik muss immer als allererstes gefunden werden“, schreibt Imre Kertész im Galeerentagebuch (aus dem Gedächtnis zitiert). Wenn Du das Tonstudio besetzt, bin ich jedenfalls gerne dabei. Und unsere beiden Gefäß-Systeme im Hanseatenweg könnten sich perfekt ergänzen – Dein Nervenzentrum im elektronischen Studio, die Über- und Unterführungen, Klang- und Resonanzräume – und mein Höhlensystem. Beides legt es ja darauf an, ein möglichst konkret, d. h. genau geformtes Gefäß zu sein, zugleich aber immer wieder offen, geöffnet für die anderen, ihre Arbeitsweisen, Instrumente, Wege und Werkzeugkästen. Darauf bin ich – genau wie Du – sehr gespannt.
Herzlich, Manos
Am 21. März 2019 findet ab 19 Uhr in der Akademie am Hanseatenweg die dritte Ausgabe der FID-Konzertreihe statt: Free International Drumming III.